Zwölf Menschen sind auf dem Mond gelandet und haben seine Oberfläche erkundet. Allerdings war unter den Astronauten nur ein einziger Wissenschaftler – der Geologe Harrison Schmitt. Er besuchte den Erdtrabanten im Dezember 1972 an Bord von Apollo 17, der letzten Mission des Programms. Danach war das Interesse der Öffentlichkeit am Mond erlahmt. Aber die Forschung kam erst in Fahrt. Was wissen wir heute über den uns nächstgelegenen Himmelskörper? Können wir Neues erfahren? Gibt es ungelöste Fragen? Wir sprachen mit Urs Mall, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen.
mpg: Herr Mall, die Apollo-Missionen brachten insgesamt rund 384 Kilogramm Mondgestein zur Erde. Was haben wir daraus gelernt?
Urs Mall: Durch Apollo hat die Menschheit zum ersten Mal Zugriff auf extraterrestrisches Material bekommen, das sie sich selbst von einem fremden Himmelskörper geholt hat. So wurde unter anderem klar, dass der Mond über eine innere Struktur verfügt. Die Analyse des zurückgebrachten lunaren Materials in Labors hat es ermöglicht, die mineralogische und chemische Zusammensetzung dieser Gesteine zu bestimmen. Es zeigte sich, dass dieses Material mit dem unserer Erde verwandt ist. Auch Altersdatierungen wurden jetzt möglich, konnte man doch untersuchen, wann ein bestimmtes Gestein entstanden war. Das Alter dieser Proben variiert natürlich sehr stark, aber das älteste ist gut 4,42 Milliarden Jahre alt. Dieses Gestein stammt aus der Frühphase des Mondes. Alle diese Untersuchungen setzten auch den Spekulationen ein Ende, dass es auf dem Mond lebende Organismen geben könnte.
Sie sprachen von der Frühphase des Mondes. Wie wurde er denn geboren?
Eine recht wahrscheinliche Theorie besagt, dass die Urerde mit einem etwa marsgroßen Protoplaneten, von den Wissenschaftlern Theia genannt, zusammenstieß. Dies geschah nicht frontal, sondern streifend. In die Erdumlaufbahn wurden bei dieser kosmischen Kollision große Mengen an Materie geschleudert, aus der sich dann innerhalb einiger Tausend bis Hunderttausend Jahre der Mond bildete. Dieser primitive Mond muss anfangs von einer dicken Schicht aus flüssiger Schmelze überzogen gewesen sein, die man als Magma-Ozean bezeichnet. Hier gibt es eine spannende Debatte, wie und über welchen Zeitraum dieser Magma-Ozean sich abkühlte. Außerdem möchten wir etwas über die Mechanismen erfahren, die diese Schmelze fest werden ließen. Das alles hat Implikationen auch für das Verständnis unserer eigenen Erdgeschichte. Zum Thema Bildung des Mondes sind aber gerade in den vergangenen Jahren eine Reihe von Theorien in Umlauf gekommen, welche die Kollisionstheorie etwas modifizieren.
Heute, Milliarden Jahre später, sehen Mond und Erde ganz unterschiedlich aus …
… ja, denn auf der Erde mit ihrer Atmosphäre gibt es viel Veränderung, vollzieht sich eine ständige Zerstörung und Erneuerung der Oberfläche. Das liegt vor allem an der Tektonik, wenn die Platten der Lithosphäre im Laufe der Erdgeschichte zusammenstoßen, sich neu bilden oder auch in der Tiefe der Erde verschwinden.
Das gibt es auf dem Mond in dieser Form nicht. Weil der Erneuerungsprozess fehlt, ist der Anfangszustand wie eingefroren erhalten geblieben. So zeigt dieser Himmelskörper noch heute Spuren des Bombardements von Körpern aus den Anfängen des Sonnensystems, sprich zahlreiche Krater. Indem wir diese vermessen, können wir Rückschlüsse auf die Ursprünge ziehen. Die Entwicklung der Sonne wird ebenfalls rekonstruierbar, denn auch der Sonnenwind – ein Strom aus geladenen Teilchen – hat sich über Milliarden von Jahren in der Oberfläche des Mondes abgelagert. Kurz: Der Mond ist wohl eines der wichtigsten Archive der Geschichte unseres Sonnensystems.
Eine zentrale Frage bei Geburt und Entwicklung des Sonnensystems ist die nach der Rolle des Wassers. Wie sieht es da auf dem Mond aus?
Im Apollo-Gestein fand man zunächst kein Wasser. Und das, was einige Teams entdeckten, schrieb man einer irdischen Kontamination zu. Allerdings werden die Proben auch heute noch untersucht, und zwar naturgemäß mit besseren und sensibleren Instrumenten als vor einigen Jahrzehnten. So konnte man bei der erneuten Analyse einer Probe im Jahr 2008 tatsächlich Spuren von Wasser nachweisen. Inzwischen hat man es bei vielen Proben gefunden. Um etwas genauer zu sein: Was man in den Mineralen misst, sind chemisch gebundene Hydrate und Hydroxide.
Wo kommt dieses Wasser her?
Genau das ist die große Frage! Im Prinzip gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder war es bei der Formation des Mondes schon da; dann käme es aus einer endogenen Quelle. Oder das Wasser wurde später während des Bombardements von Kometen oder Asteroiden geliefert, würde also aus einer exogenen Quelle stammen. Darauf haben wir noch keine eindeutige Antwort.
Wenn Wasser im Mondgestein steckt, dann muss man es doch auch aus der Ferne nachweisen können?
Ja, das ist erstmals der indischen Raumsonde Chandrayaan-1 im Jahr 2008 mit einem Infrarot-Spektrometer gelungen. Es gab vorher natürlich auch schon ein paar Experimente dazu. Aber lassen Sie mich etwas klarstellen: Auf dem Mond gibt es kein Wasser wie auf der Erde, es liegt also nicht in molekularer Form vor, als H2O. Einerseits würde das Wasser wegen der fehlenden Atmosphäre sich sofort verflüchtigen und andererseits würde das Sonnenlicht die Moleküle zerstören, wobei der leichte Wasserstoff wegen der geringen Anziehungskraft ins All entweichen würde. Was wir nachweisen, ist wahrscheinlich Hydroxyl mit der chemischen Formel OH-. Übrigens erwartet man an den Polen des Mondes besonders reiche Vorkommen; dort wäre es in der Tat auch möglich, Eis zu finden.
Warum gerade dort?
Das erwähnte Hydroxyl-Molekül oder vereinzelte H2O-Moleküle verhalten sich wie Bälle, die auf die Oberfläche treffen. Sie bleiben nach dem ersten Aufprall nicht liegen, sondern springen herum. Einige dieser Moleküle erreichen dann nach dem Zufallsprinzip irgendwann die Polregionen. Dort befinden sich Krater, die permanent abgeschattet und deshalb extrem kalt sind. Jetzt passiert dasselbe, wie wenn Sie mit dem Finger in ein Tiefkühlfach greifen – Sie bleiben kleben. So ergeht es auch den Molekülen, die sich an den kältesten Stellen sammeln.
Sie erwähnten vorhin eine unbemannte Raumsonde, die 2008 startete. Die Chinesen sind im vergangenen Januar auf der Mondrückseite gelandet. Sind weitere Missionen geplant?
Noch im Juli soll die indische Sonde Chandrayaan-2 starten und die Arbeit ihrer Vorgängerin weiterführen. Leider gibt es keine deutsche Beteiligung, obwohl uns nach dem Ende von Chandrayaan-1 angeboten wurden, auch bei dieser Mission mitzumachen. Das Interesse an der Mondforschung von den Geldgebern ist hierzulande aber offenbar relativ gering. Nur dank des DLR-Bereichs Bemannte Raumfahrt, ISS und Exploration sowie der Initiative des vormaligen Max-Planck-Präsidenten Peter Gruss konnten wir in der Vergangenheit an Mondmissionen teilnehmen.
Auch das DLR, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, hat kein entsprechendes Projekt auf seiner Agenda. Dafür sind die Amerikaner und Russen umso aktiver. Von 2021 bis 2026 sollen im Rahmen des russischen Luna-Glob-Progamms die Sonden Luna 25 bis Luna 29 zum Mond fliegen. Leider haben wir die finanziellen Mittel nicht, um dafür Hardware zu bauen. Aber wir sind als Co-Experimentatoren beteiligt. Und dann dürfen wir natürlich unsere erfolgreichen chinesischen Kollegen nicht vergessen, die mit ihrem Chang’e-Programm in kurzer Zeit spektakulär in die Mondforschung eingestiegen sind und diese in den nächsten Jahren massiv weiter vorantreiben werden.
Sollen wieder Menschen zum Mond fliegen?
Die Amerikaner haben sich im Rahmen des Artemis-Programms mit der geplanten Landung der ersten Astronautin auf dem Mond im Jahre 2024 das Ziel gesetzt, eine ganze Sequenz von Landungen zu beginnen, die sowohl rein wissenschaftliche wie auch kommerzielle Interessen verfolgen. Konkret zu Ihrer Frage: Ich meine, dass man mit Robotik heute schon sehr viel machen kann. Andererseits sind Menschen vor Ort natürlich besser, weil sie aktiv eingreifen und in einer bestimmten Situation angebracht reagieren können. Letztlich ist das eine Frage des Geldes.
Das Interview führte Helmut Hornung für die Max-Planck-Gesellschaft.
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