Gestern konnte man in den USA ein Jahrhundertereignis bestaunen, nämlich den seltenen Anblick einer totalen Sonnenfinsternis. Falko Pietsch schildert für den hpd seine Gedanken zu diesem faszinierenden Naturschauspiel und macht sich dabei Sorgen um weniger aufgeklärte Artgenossen unserer Spezies.
Für die meiste Zeit der Menschheitsgeschichte hatten unsere Vorfahren nicht die leiseste Ahnung, was bei einer Sonnenfinsternis vor sich geht. Sie nahmen nur wahr, dass die Tiere nervös wurden, dass die Grillen mitten am Tag zu zirpen begannen, dass die gesamte Fauna Alarm schlug, während ein massiver Schatten sich gespenstisch lautlos vor die Sonne schob und über die Erde legte. Sie befürchteten zornige Götter, böse Omen oder gleich den kompletten Weltuntergang.
Leicht vorzustellen, wie groß die Panik der Menschen gewesen sein dürfte und wie dankbar sie sich wohl an die einordnenden Prophezeiungen, Mythen und Wahrsagereien der jeweiligen Priester, Schamanen, Auspices und dergleichen geklammert haben. Auch wenn diese das Phänomen kein Jota besser begriffen - ihre Ahnungslosigkeit jedoch hinter bedeutungsschwangeren Worten, Märchen und Gesten besser zu verstecken wussten.
Die Erde indes drehte sich unbeeindruckt weiter und schon wenige Minuten später war es, als sei nichts geschehen. Die Wildtiere beruhigten sich, der Wald wurde stiller, die Sonne schien so hell wie eh und je.
Nur der Mensch blieb mit tausend Fragen und Ängsten belastet. Was das war? Ob das wiederkommt? Wie man das verhindern kann? Die Angst vor der Angst ist groß. Und das Unverstandene ängstigt am meisten. Kein Wunder, dass sich tausende (falsche) Erklärungen und Mythen und Pseudo-Kausalitäten irrwitzig lange halten konnten. Lieber nahm man irgendeine Erklärung als gar keine.
Die seltene Wiederkehr dieser Ereignisse machte sie zum Gegenstand von Legenden. Jede dritte oder vierte Generation erlebte dann mal wieder so ein Phänomen, das sie bis dato für eine reine Wahnphantasie der Alten gehalten haben dürfte. Und wieder mussten Gründe gefunden werden.
Das Phänomen einer Sonnenfinsternis selbst ist heute genauso beeindruckend wie zu allen anderen Zeiten. Nur dass wir es als ästhetisch singuläres Spektakel besser genießen können. Unsere größte Angst muss derweil sein, dass trotz hundertfacher Warnung die Trottel unter unseren Artgenossen ohne Schutzbrille in den Himmel gaffen und danach gegarte Augäpfel haben.
Ich bin sehr froh und dankbar, durch bloßen blöden Zufall in einer Zeit und einer Kultur zu leben, in der uns derartige Naturereignisse zwar zum Staunen bringen, uns aber nur noch höchst selten ängstigen; in der wir uns die ahnungslosen Mythen weitgehend abgewöhnt haben und Stück für Stück um bessere Antworten ringen.
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